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Bericht 200 Jahre Blindenschrift

Bericht: 200 Jahre Punktschrift

Aus „Borkener Zeitung“, Januar 2009

 

Pünktchen, Pünktchen, Pünktchen

200 Jahre Brailleschrift: Joachim Dargegen über die Punktschrift für Blinde

Von Katrin Schmidt

 

Borken/Bocholt. Joachim Dargegen stutzt für einen Moment auf die Frage hin, wie viel er noch sehen könne. „Gar nichts mehr. Ich bin mit 40 Jahren erblindet“, antwortet der 58-Jährige. Dass er Probleme mit den Augen hat, sieht man ihm durch die getönten Gläser seiner Brille an. Ein Auge schielt Richtung Nase. „Ach ja die Brille.“ Dargegen grinst. „Die trage ich aus kosmetischen Gründen und als Schutz für die Augen.“

Lesen wird der Vorsitzende des Blinden- und Sehbehindertenvereins Bocholt-Borken nie mehr mit den Augen. Er benutzt dafür seit 18 Jahren, seit seiner Erblindung, die Zeigefingerkuppen. In nur gut drei Monaten paukte er sich die Punktschrift ins Gedächtnis. „Für Späterblindete wie mich ist das schwierig zu lernen.“ Und für jemanden, der zig Jahre Bauarbeiter war und völlig verhornte Finger hat, oder dicke Finger hat und immer zwei Buchstaben gleichzeitig fühlt, sei das noch schwerer. „Ich glaube nicht, dass die Hälfte der Blinden die Brailleschrift kann.“

Die Schrift gehe zurück auf Louis Braille. Der hatte sich in der Sattlerwerkstatt des Vaters mit einer Ledernadel das Auge verletzt. Oft erzählt Joachim Dargegen bei seiner Aufklärungsarbeit in Schulen, wie Braille erblindete und eine Punktschrift für Sehbehinderte und Blinde erfand.

„Grundlage war ein Millitärcode. Mit nur sechs Punkten kann man das komplette Alphabet nachstellen.“ Die Grundform der Brailleschrift, aus der sich alle Buchstaben ableiten, sieht aus wie die Sechs auf einem Würfel, hochkant. Je nach dem, welche der sechs Punkte an welcher Stelle und in welcher Kombination in das Papier eingestanzt sind, ergibt sich ein Buchstabe. Das A ist einfach: ein Punkt. B sind zwei Punkte übereinander. Der geübte Brailleschriftleser fühlt auch noch, an welcher position sich die zwei Punkte befinden: von der Sechspunkt-Grundform ausgehend oben, mittig oder unten. Ein Schwarzschriftgewöhnter fühlt eher Schmirgelpapier der Körnung sechs. Und die Feinheiten der Brailleschrift werden ihm wohl nie geläufig werden: Ein Punkt vor dem Wort Mann kündigt etwa an, dass sich ein Vokal in einen Umlaut verwandelt – also aus Mann Männer wird. „Und da gibt es ja noch Unterschiede zwischen der Voll- und der Kurzschrift“, erklärt der 58-Jährige. In der Kurzschrift wird noch einmal dezimiert: der, die das, aber auch Silben wie ver, ent, keit und lich werden nicht ausgeschrieben, sondern erhalten ein einziges eigenes Punktbild. Etwa 300 gibt es davon.

Und als ob das mit den Punkten nicht schon schwierig genug wäre, ergänzt Joachim Dargegen: „Zwei Mitglieder bei uns im Verein sind taubblind. Wir kommunizieren über die Brailleschrift, aber untereinander verwenden sie das Lormen.“ Dabei tippt der Kommunizierende auf die Handinnenfläche des Empfängers. Wie man das Wort Bier lormt, hat Dargegen schon gelernt. „Weil wir doch im Verein zusammen kegeln und Karten spielen.“ Gekegelt wird in die Vollen und Karten gespielt mit einem Blatt, dessen Farben eingestanzt sind – auch noch mal auf eine bestimmte Art: ein König sind zwei Kreise, ein Ass ein Strich...

Wer die Punktschrift nicht beherrscht, dem hilft Technik enorm: Mal eben etwas „notieren“ mit dem Diktiergerät, ein Buch hören, sich mittels Scannersystem vorlesen lassen, Filme mit Unterton gucken, mit dem Einkaufsfuchs shoppen gehen (der erkennt Strichcodes und sagt, um welches Produkt es sich handelt), oder mit einem Farberkennungsgerät seine Kleidung zusammenstellen. „Das hilft mir allerdings bei Magenta nicht weiter“, erzählt Dargegen. Er wisse zwar noch von früher, wie Farben aussehen, aber als er vor fast 20 Jahren erblindete, gab es Magenta im öffentlichen Bewusstsein noch nicht. „Mir kann bis heute keiner erklären, wie Magenta aussieht.“

Nicht alle Informationen sind blinden Menschen zugänglich, aber viele: Über 100.000 Medien aller Sparten verfügen die vernetzten Hörbüchereien bundesweit. „Bezugsquelle für uns ist die Hörbücherei in Münster. Die haben 22.000 Bücher, von der Bibel bis Pilcher, in Brailleschrift.“ Ab Januar muss ein Hörbuch auch nicht mehr in Form von 20 Kassetten ausgeliehen werden, sondern wird im neuen MP3-Format DAISY (Digital Accessible Information System) so komprimiert, dass es auf eine einzige CD passt. Die wird jedoch nur von speziellen Playern gelesen. Wenn Jochen Dargegen sich nicht gerade Bücher anhört, dann surft er im Internet – mit den Finger: An seinem PC klemmt kein Monitor, dafür eine Braillezeile unter der Tastatur. Automatisch erheben sich hier die kleinen Punkte oder sinken wieder. Dargegen schaltet die Boxen an: „Ich kann mir das auch vorsprechen lassen.“ Eine blechernd-monotone Stimme liest die Website vor – gnadenlos alles: „Absatz, Absatz, Absatz.“ Zur Barriere werden Buttons und Logos. Da streikt die Übersetzung in Brailleschrift wie auch die Blechstimme. Klar darf für diesen Zeitungsartikel auch ein Foto vom Blinden-PC gemacht werden. „Warten Sie, ich mache die Box aus.“ Dargegen spricht es und fasst sich lachend an den Kopf: „Ach, der Ton kommt ja gar nicht mit aufs Foto.“

 

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